An­walt­li­cher Rat zu un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen bei Rechts­un­si­cher­heit

Nachfolgender Artikel von Prof.Dr. Uwe Schneider (erschienen in der Betrieb, 14.01.2011, Heft2; © DER BETRIEB, Fachverlag der Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH 2010)  – wann schützt die Einholung anwaltlichen Rates ein Organ im Bereich unternehmerischer Entscheidungen, die mit einer Rechtsunsicherheit behaftet sind – ist erwähnenswert, da aktuell und lesenswert, auch NIETZER & HÄUSLER ist zunehmend im Umfeld verstärkter Management- und Aufsichtsratshaftung mit Anfragen von Organen, seien es Aufsichtsräte / Beiräte oder Vorstände / Geschäftsführer oder seien es Gesellschafter privater und verstärkt auch kommunaler Gesellschaften (mit oftmals fakultativem Aufsichtsrat),  zum Thema Organhaftung, Internal Investigations, Legal Opinion oder Compliance Reviews befasst. Falls Sie die Fussnoten zum Text wünschen, lassen Sie es uns wissen und wir senden Ihnen den Artikel vollständig zu.

Zusammenfassung: Unternehmerische Entscheidungen werden zunehmend Gegenstand anwaltlicher Beratung. Die Mitglieder des geschäftsführenden Organs eines Unternehmens tragen zwar für ihre unternehmerischen Entscheidungen die Verantwortung. Durch Einholung von anwaltlichem Rat kann diese Verantwortung zwar nicht rechtlich, wohl aber – in gewissem Umfang – tatsächlich verlagert werden. Der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit und damit eine Voraussetzung für Schadenersatzansprüche entfällt, wenn sich das geschäftsführende Organ innerhalb der Grenzen des unternehmerischen Ermessens bewegt. Ob im konkreten Fall die genannten Grenzen überschritten sind, ist eine Rechtsfrage. Hierüber können auf solche Fragen spezialisierte Anwälte Auskunft geben.


Ein Beitrag zum Management der Organhaftung

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider, Mainz/Frankfurt/M.

Die Mitglieder des geschäftsführenden Organs eines Unternehmens tragen zwar für ihre unternehmerischen Entscheidungen die Verantwortung. Der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit und damit eine Voraussetzung für Schadensersatzansprüche entfällt jedoch, wenn sich das geschäftsführende Organ innerhalb der Grenzen des unternehmerischen Ermessens bewegt. Der Beitrag erörtert die Voraussetzungen des unternehmerischen Ermessens, die sich in diesem Zusammenhang stellenden Rechtsfragen und die Möglichkeit des Geschäftsleiters, sich durch angemessene anwaltliche Beratung vor dem Vorwurf der Pflichtwidrigkeit zu schützen.

Rechtsberatung zur Haftungsvermeidung

Die unternehmerische Tätigkeit bringt für die begleitenden Anwälte zahlreiche neue Aufgaben. Dabei geht es nicht nur um die allgemeine Rechtsberatung, die Mitwirkung bei der Vertragsgestaltung, die Begleitung der Unternehmen bei Transaktionen, die Vertretung bei Rechtsstreitigkeiten vor Gericht und außerhalb des Gerichts und anderes mehr. Das ist nicht neu.

Zunehmend Bedeutung gewinnt aber zum einen die Mitwirkung der Anwälte bei der Sachverhaltsermittlung im Unternehmen. Zu denken ist etwa an interne Untersuchungen bei Wahrnehmung der Compliance-Aufgaben. Kam es im Unternehmen, um ein bekanntes Beispiel zu nennen, zu unzulässigen Zahlungen an Amtsträger, an Kunden oder an Wettbewerber? Neudeutsch heißt das: „Internal Investigations“1). Zunehmende Bedeutung haben zum anderen der anwaltliche Rat und Rechtsgutachten2) über die rechtlichen Rahmenbedingungen unternehmerischer Entscheidungen. Das fängt bei der Frage an, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen eine Investition des Unternehmens vom unternehmerischen Ermessen des geschäftsführenden Organs gedeckt ist und endet bei der Frage, ob der Aufsichtsrat Schadensersatzansprüche gegen Mitglieder des Vorstands geltend machen muss3). Das vorrangige Ziel dieser Tätigkeit ist es, rechtmäßiges Verhalten des Unternehmens und seiner Organmitglieder sicherzustellen4) und eine Haftung der Organmitglieder zu verhindern, wenn sich die Dinge anders entwickeln als geplant und erhofft. Davon handeln diese Überlegungen.

Worum geht es? Vielfach haben die Mitglieder des Vorstands oder die Geschäftsführer Entscheidungen zu treffen, die mit einem hohen Risiko verbunden sind. Das können tatsächliche Risiken sein, aber auch Rechtsrisiken.

  • Zweifel über den Sachverhalt, der einer unternehmerischen Entscheidung zugrunde liegt, können den Vorwurf begründen, dass Organmitglieder ihre Pflichten verletzen, wenn sie trotz solcher Zweifel Lieferungen vornehmen, einen Kredit gewähren, Investitionen tätigen oder steuerliche Nachteile in Kauf nehmen.
  • Zweifel über die Rechtslage bestehen, wenn eine gesetzliche Regelung und Rechtsprechung zu einer Rechtsfrage fehlen, wenn die Auslegung unbestimmter Tatbestandsmerkmale zu unterschiedlichen Ergebnissen führt oder in der Rechtsprechung widersprüchlich entschieden wurde.

In solchen Fällen ist der Anwalt gefordert, Auskunft über die Rechtslage zu geben, hilfsweise zu raten, ob es zu verantworten ist, trotz eines unsicheren Sachverhalts oder trotz zweifelhafter Rechtslage eine Maßnahme durchzuführen. Im Zweifel hat der Anwalt den sichersten Weg zu weisen, um vor „normativem Steinschlag“ zu schützen.

Die Fragen, die sich dazu stellen, lauten: Unter welchen Voraussetzungen sind Organmitglieder verpflichtet, anwaltlichen Rat einzuholen? Dürfen sich die Organmitglieder sodann auf den Rat ihres Anwalts verlassen? Welche Anforderungen bestehen an die Qualifikation des Anwalts? Muss jedes Organmitglied seinerseits die Auskunft überprüfen? Und unter welchen Voraussetzungen bedarf es einer second opinion, also einer zweiten gutachterlichen Stellungnahme durch einen anderen Anwalt?

Die Ausgangslage

Der Vorstand und die Geschäftsführer haben bei unternehmerischen Entscheidungen zwar ein weites unternehmerisches Ermessen5). Für diese gemeinhin als Business Judgment Rule bezeichnete Regel – sie ist heute in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG verankert – bestehen aber Grenzen.

Voraussetzung für die Anerkennung eines unternehmerischen Ermessensspielraums ist nämlich,

  • dass eine unternehmerische Entscheidung vorliegt,
  • dass die unternehmerische Entscheidung recht- und satzungsmäßig ist,
  • dass die unternehmerische Entscheidung dem Wohl des Unternehmens zu dienen bestimmt ist und die Organmitglieder ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse handeln,
  • dass die unternehmerische Entscheidung auf angemessenen Informationen beruht und
  • dass die Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensleitung eingehalten werden.

Liegen diese Voraussetzungen vor, verzichten die Gerichte auf die inhaltliche Prüfung der Entscheidung, also insbesondere auf die Prüfung der Zweckmäßigkeit. Als Folge entfällt für die Organmitglieder der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens, immer vorausgesetzt, dass die unternehmerische Entscheidung innerhalb der Grenzen des unternehmerischen Ermessens lag.

Die Bestimmung der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule und deren Grenzen führt zu Rechtsfragen, die im Zweifel anwaltlichen Rat verlangen, um [DB 2011 S. 100]Schaden von der Gesellschaft und Schadensersatzansprüche von dem einzelnen Organmitglied abzuhalten.

Unternehmerische Entscheidung und anwaltlicher Rat

Unternehmerische und gebundene Entscheidungen

Anzuwenden ist die Business Judgment Rule nur bei unternehmerischen Entscheidungen. Bei gebundenen Entscheidungen findet sie keine Anwendung. Um eine unternehmerische Entscheidung handelt es sich, wenn das geschäftsführende Organ die rechtliche Möglichkeit zur Auswahl zwischen mehreren tatsächlichen Verhaltensalternativen hat, wobei im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung wegen unvorhersehbarer Sachverhaltsentwicklung noch nicht absehbar ist, welche der zur Verfügung stehenden Alternativen sich als die im Nachhinein für das Unternehmen vorteilhafteste herausstellen wird und deshalb die Gefahr besteht, dass die getroffene Wahl als von Anfang an erkennbar falsch angesehen wird6).

Kein unternehmerisches Ermessen besteht bei gebundenen Entscheidungen. Das sind solche Entscheidungen, bei denen von Rechts wegen keine Handlungsalternative besteht. Ist das Unternehmen bei Errichtung einer Anlage verpflichtet, einen bestimmten Sicherheitsstandard einzuhalten, handelt es sich um eine gebundene Entscheidung und es besteht kein unternehmerisches Ermessen, ob man den Sicherheitsstandard einhält oder nicht. Die Folge ist, dass nur ein bestimmtes Verhalten rechtmäßig ist.

Zweifel im Einzelfall

Im Einzelfall hat sich das geschäftsführende Organ vor der Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung umfassend über die Rechtslage zu informieren. Dabei kann aber fraglich sein, ob eine gebundene Entscheidung vorliegt und welche Maßnahme geboten ist oder ob es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt und damit nur die Grenzen des unternehmerischen Ermessens aufzuzeigen sind. Und diese Zweifel können unterschiedliche Gründe haben. Zu denken ist an unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eines unbestimmten Rechtsbegriffs, zumal wenn Rechtsprechung dazu fehlt oder die vorliegende Rechtsprechung widersprüchlich ist. Zweifel können begründet sein, ob eine Lücke im Gesetz besteht und wie diese ggf. zu schließen ist.

Teilweise wird die Ansicht vertreten, es liege bei unsicherer Rechtslage ein typisches Entscheidungsdilemma vor, dem die Business Judgment Rule Rechnung tragen solle7). „Rechtliche Risiken, die nach Wahrscheinlichkeit und Größe des möglichen Schadens im Vergleich zum möglichen geschäftlichen Vorteil relativ gering sind“, dürfe der Vorstand in Kauf nehmen8). Nach anderer Ansicht ist die Business Judgment Rule nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend anwendbar, denn dem Handeln im Blick auf Rechtsrisiken wohne derselbe Prognosecharakter inne wie unternehmerischen Entscheidungen9).

Beiden Ansichten ist nicht zu folgen10). Ob eine gebundene Entscheidung oder eine unternehmerische Entscheidung vorliegt, richtet sich nach objektiven Kriterien. Auf die Kenntnis des Organmitglieds von der zutreffenden Rechtslage kommt es bei der Abgrenzung zwischen unternehmerischer Entscheidung und gebundener Entscheidung nicht an11). Entscheidet sich aber ein Organmitglied für eine Maßnahme, die in der Folgezeit durch die Gerichte als gebundene Entscheidung bewertet wird, so kann sich das Organmitglied nicht auf die Business Judgment Rule berufen. Es muss mit einer gerichtlichen Überprüfung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung rechnen. Vor allem aber muss das Organmitglied mit dem Vorwurf rechnen, es habe sich pflichtwidrig verhalten; denn rechtswidrige Maßnahmen sind i. d. R. pflichtwidrig12). Der Vorwurf entfällt aber, wenn das Organmitglied alles unternommen hat, um pflichtwidriges Verhalten zu vermeiden13). Und dazu gehört auch, bei unsicherer Rechtslage einen Anwalt einzuschalten.

Das Dilemma des Anwalts

Für den Anwalt kann eine unsichere Rechtslage nicht bedeuten, dass er in seinem Gutachten eine sichere Rechtslage „vorgaukelt“. Eine unsichere Rechtslage bleibt eine unsichere Rechtslage14). Dies hat ein Anwalt deutlich herauszuarbeiten. Es liegt sodann im Verantwortungsbereich des Vorstands oder der Geschäftsführer abzuwägen, ob sie sich trotz unsicherer Rechtslage zu einer Maßnahme entscheiden. Im Zweifel gilt der „Grundsatz des sichersten Weges“15). Das geschäftsführende Organ hat sich für die Maßnahmen zu entscheiden, die für das Unternehmen vorteilhaft und zugleich den sichersten und gefahrlosesten Weg darstellen, um geltendes Recht und die Satzung zu beachten16). Die für das Unternehmen günstige Rechtsposition darf es nur einnehmen, wenn dies im vorgenannten Sinn vertretbar ist17). Wer sich hieran hält, verletzt seine Pflichten nicht.

Keine Verletzung von Recht und Satzung

Ein entsprechendes Problem stellt sich, wenn zwar eine unternehmerische Entscheidung zu treffen ist, aber auch dabei das Risiko einer Rechtsverletzung besteht. Einigkeit besteht, dass unternehmerische Entscheidungen nicht gegen geltendes Recht und die Satzung verstoßen dürfen. Der Vorstand und die Geschäftsführer haben kein Ermessen, sich für eine rechtswidrige Maßnahme zu entscheiden. Für illegales Verhalten gibt es keinen „sicheren Hafen“18). Verletzen sie durch eine solche Maßnahme gesetzliche Regeln, so drohen Strafe oder Geldbuße, Kündigung oder Schadensersatz.

Streitig ist, ob dies für jede Rechts- und Gesetzesverletzung gilt oder ob es bestimmter Einschränkungen bedarf19). Die Einzelheiten interessieren hier nicht. Entscheidend ist, dass hier, wie an anderer Stelle, eine unsichere Rechtslage bestehen kann. Auch insoweit hat das geschäftsführende Organ kein unterneh[DB 2011 S. 101]merisches Ermessen. Der Vorstand und die Geschäftsführer haben in diesem Fall vielmehr die Vorteile des Geschäfts mit den Folgen des Handelns für den Fall der Rechtswidrigkeit abzuwägen20) und den sichersten Weg zu gehen.

Mitglieder des Vorstands und Geschäftsführer, die sich hieran halten, verletzen ihre Pflichten nicht. Und genau das führt dazu, dass es auch im Interesse der Organmitglieder ist, anwaltlichen Rat darüber einzuholen, ob eine unternehmerische Maßnahme trotz ungesicherter Rechtslage vertretbar ist.

Unternehmerische Entscheidung zum Wohl des Unternehmens

Bei Ausübung des unternehmerischen Ermessens muss das geschäftsführende Organmitglied zum Wohle der Gesellschaft handeln. Das hindert insbesondere, eigene Sonderinteressen wahrzunehmen, sich sachfremden Einflüssen zu beugen21), also insbesondere bei Interessenkonflikten tätig zu werden. Und deshalb findet die Business Judgment Rule keine Anwendung bei Rechtsgeschäften mit nächsten Verwandten, dem Ehepartner oder dem Lebensgefährten22). In solchen Fällen kann die Maßnahme inhaltlich einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden. Und vor allem hat das Organmitglied seinerseits, wenn Schaden eingetreten ist, darzutun und zu beweisen, dass es mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns gehandelt hat.

Unter welchen Voraussetzungen ein Vorstandsmitglied oder der Geschäftsführer aber nicht zum Wohle der Gesellschaft handelt, kann zweifelhaft sein. Bei solchem Zweifel kann es sich empfehlen bzw. zur Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt geboten sein, den Rat eines Anwalts einzuholen.

Angemessene Information über den Sachverhalt

Bei unternehmerischen Entscheidungen liegt nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied annehmen durfte, „auf der Grundlage angemessener Information“ zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Das lässt sich auch anders formulieren: Fehlt es an angemessener Information, so indiziert dies eine Pflichtverletzung.

Was aber heißt „angemessene Information“? Müssen „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art“ ausgeschöpft werden? Davon geht eine Entscheidung des II. Senats des BGH23) aus. Weiter heißt es in der Entscheidung: Nur wenn diese Anforderungen erfüllt sind, nämlich alle verfügbaren Informationsquellen ausgeschöpft wurden, ist Raum für die Zubilligung unternehmerischen Ermessens.

Dem ist nicht zu folgen. Maßstab ist nicht die objektiv erforderliche Information24). Vielmehr ist dem geschäftsführenden Organ „ein erheblicher Spielraum eingeräumt, um den Informationsbedarf abzuwägen“25). Das ist gut begründet, wenn man sich die unterschiedlichen Entscheidungssituationen vor Augen führt. Das geschäftsführende Organ hat auf der einen Seite die Bedeutung der Maßnahme für das Unternehmen in den Blick zu nehmen, aber auch die Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Risiken, insbesondere für das Misslingen einer Maßnahme und den möglichen Schaden26). Auf der anderen Seite sind die Gewinnchancen, die für die Entscheidung zur Verfügung stehende Zeit, die Kosten für die Informationsbeschaffung und anderes mehr zu beleuchten. Ein Unternehmen, das für einen Bagatellbetrag eine Ware liefert, ohne sofort Zahlung zu verlangen, muss nicht vertieft die Kreditwürdigkeit des Käufers prüfen. Anders ist dies bei Lieferungen zu einem erheblichen Preis. Im Ergebnis bedeutet dies, dass nicht in jedem Fall „sämtliche denkbaren Erkenntnisquellen“27) herangezogen werden müssen. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass etwa routinemäßig Sachverständigengutachten eingeholt werden28). Unternehmerische Entscheidungen sollen nicht verrechtlicht werden; denn „eine unternehmerische Entscheidung beruht häufig auch auf Instinkt, Erfahrung, Fantasie und Gespür für künftige Entwicklungen und einem Gefühl für Märkte“29).

Es ist aber eine Rechtsfrage, ob die bestehenden Mindestanforderungen an die Ermittlung des Sachverhalts eingehalten sind. Nur wenn diese Mindestanforderungen erfüllt sind, sind keine Sorgfaltspflichten verletzt. Und dabei liegt die Darlegungs- und Beweislast, dass diese Mindestanforderungen eingehalten sind, bei dem einzelnen Organmitglied.

Geht man hiervon aus, ist es aus der Sicht des Unternehmens und des einzelnen Organmitglieds sinnvoll, im Einzelfall Rechtsrat darüber einzuholen, ob die rechtlichen Mindestanforderungen für eine angemessene Information erfüllt sind. Das gilt insbesondere, wenn sich der Sachverhalt nicht umfassend aufklären lässt.

Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung

Keine schlechthin unvertretbaren Maßnahmen

Schließlich wird die Business Judgment Rule durch die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung begrenzt. Das bedeutet nicht, dass die in der Betriebswirtschaftslehre entwickelten Methoden zur Unternehmensleitung normativen Charakter gewinnen. Vielmehr geht es um zwei Grenzlinien, die nicht überschritten werden dürfen. Zum einen darf das geschäftsführende Organ keine Maßnahmen vornehmen, die, wenn sie fehlschlagen, das Unternehmen geradewegs in die Bestandsgefährdung oder gar in die Insolvenz führen30). Zum anderen darf es keine Maßnahmen vornehmen, die schlechthin („evident“) unvertretbar sind, mögen sie auch nicht bestandsgefährdend sein. Die Formulierungen gehen in Rechtsprechung und Lehre auseinander. Gemeint ist aber i. d. R. dasselbe. Entscheidend ist, dass keine Maßnahmen vorgenommen werden, bei denen das Geschäftsrisiko ganz und gar außer Verhältnis zu den Ertragsaussichten steht31).

[DB 2011 S. 102]

Folgen für die Praxis

Anwaltlicher Rat hierüber ist besonders schwierig. Die Rechtsprechung hat zwar bereits in einzelnen Fällen versucht zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen die Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung verletzt sind. Exemplarisch ist die Kreditgewährung ohne Kreditwürdigkeitsprüfung32). Im Übrigen sind aber für die Konkretisierung die jeweiligen Umstände maßgebend. Und dies nachzuzeichnen, ist eine Rechtsfrage, die ein Anwalt beantworten muss.

Pflicht zur Einholung anwaltlichen Rats

Organmitglieder, die nicht über eigene Rechtskenntnisse verfügen, sollten zumindest Gespür für Rechtsrisiken entwickeln. Zwei jüngere obergerichtliche Entscheidungen fordern in den jeweiligen konkreten Fällen die Einschaltung eines Anwalts. Und vor allem gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung zum Strafrecht und zum Ordnungswidrigkeitenrecht, unter welchen Voraussetzungen die Pflicht besteht, „sich auf dem Laufenden zu halten“33).

Nach einer Entscheidung des OLG Stuttgart34) ist jedes geschäftsführende Organmitglied verpflichtet, wenn ihm eigene Rechtskenntnisse fehlen, den Rat eines unabhängigen fachlich qualifizierten Anwalts einzuholen. Weitergehend meint das OLG Frankfurt/M.35) im Rahmen eines Bußgeldverfahrens, der Vorstand einer AG handle sogar leichtfertig, wenn er ohne Einholung von Rechtsrat ein öffentliches Kaufangebot für Aktien, deren Preisfeststellung von der Börse lediglich ausgesetzt wurde, unter Verletzung der Veröffentlichungs- und Gestattungspflichten nach dem WpÜG bekannt gibt, weil er fälschlicherweise davon ausgeht, bereits die Aussetzung des Börsenhandels führe zu einer Beendigung der Börsenzulassung.

Die vorgenannten Entscheidungen zeigen zutreffend, dass den Organmitgliedern im Verhältnis zu ihrer eigenen Gesellschaft Pflichten obliegen, sich rechtlich beraten zu lassen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder der rechtlichen Zweckmäßigkeit einer unternehmerischen Entscheidung bestehen. Anders formuliert: Keine Pflichtverletzung liegt vor, wenn sich das geschäftsführende Organ zwar für eine rechtswidrige Maßnahme entscheidet, es sich aber zuvor hat anwaltlich beraten lassen.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung zum Recht der Ordnungswidrigkeiten. Jeder, der eine spezielle berufliche oder sonstige Tätigkeit ausübt, sei gehalten, sich über die einschlägigen Vorschriften regelmäßig zu informieren, jedenfalls soweit sie den entsprechenden unternehmerischen Tätigkeitsbereich betreffen36). Besondere Anforderungen werden an die Kenntnis des Kartellrechts gestellt. Wer im Wirtschaftsleben handle, müsse sich über das Kartellrecht informieren. Dies gelte besonders für die Mitglieder der geschäftsführenden Organe37). Im Zweifel müsse sich der Betreffende an seinen Anwalt wenden, um seinen Rechtspflichten nachkommen zu können38).

Diese etwas plakative Feststellung bedarf aber einer Einschränkung.

Eine unsichere Rechtslage oder fehlende Rechtskenntnis eines Vorstandsmitglieds oder eines Geschäftsführers begründet für sich noch keine Organpflicht, Rechtsrat einzuholen. Wenn dies so wäre, wären Unternehmen von Anwälten umzingelt. Hinzu kommen muss vielmehr, dass sich im konkreten Fall die Rechtsunsicherheit auswirkt, dass eine fehlerhafte Maßnahme für das Unternehmen von größerem Gewicht und die Rechtsverletzung bedeutsam sein könnte. Bei begründeten Zweifeln ist die Maßnahme zu unterlassen. Ist zweifelhaft, ob das Unterlassen oder auch der Vollzug der konkreten Maßnahme rechtswidrig sind, gilt, wie schon oben ausgeführt (s. unter III. 3.), der Grundsatz des sichersten Weges.

Pflicht zur Kontrolle anwaltlichen Rats

Damit stellt sich die hieran anknüpfende Frage, ob sich ein Vorstand oder die Geschäftsführer auf ein anwaltliches Gutachten verlassen dürfen.

Das OLG Stuttgart hat in einer Entscheidung vom 25. 11. 200939) zu diesen Fragen Stellung genommen. Im konkreten Fall ging es um ein Aktienrückkaufprogramm und die Frage, wie der Rückkauf finanziert werden kann und welche rechtlichen Grenzen für Aktienrückkäufe bestehen.

Das Gericht führt zunächst aus, dass im konkreten Fall die Einholung von Rechtsrat geboten war. Sodann heißt es weiter, bei fehlender Sachkunde verletze ein Gesellschaftsorgan, das anwaltlichem Rat folge, nur dann nicht schuldhaft seine Pflichten, wenn es erstens den Anwalt über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert40), wenn zweitens der Rat von einem unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträger erteilt wurde und wenn es drittens den Rat einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterworfen hat. Im konkreten Fall waren diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Und dies führte dann zu Schadensersatzansprüchen.

Die Anforderungen an ein Organmitglied, das anwaltlichem Rat folgt, sind somit hoch. Es kann sich nicht blind auf dessen Auskünfte verlassen41). Insoweit ist es nahe liegend, dass man der Auskunft und dem Rat eines Anwalts nur vertrauen darf, wenn der Anwalt umfassend informiert ist, also den Sachverhalt kennt. Und es ist auch nahe liegend, dass man sich nur auf die Auskunft und den Rat eines Anwalts verlassen kann, der persönlich zuverlässig und der nicht in einem Interessenkonflikt verfangen ist. Das bedeutet insbesondere: „Gefälligkeitsgutachten, die auch für den juristischen Laien erkennbar einseitig geprägt sind, vermögen die Vorstandsmitglieder daher nicht zu entlasten“42).

Eine gleichgelagerte Problematik entsteht, wenn anstelle eines Anwalts Mitarbeiter der Rechtsabteilung befragt werden. Sie sind in aller Regel hoch qualifiziert, und sie kennen im Ge[DB 2011 S. 103]gensatz zu einem außenstehenden Anwalt das Unternehmen. Sie stehen aber in einem Erwartungskonflikt, weil nicht selten das geschäftsführende Organ ein bestimmtes Ergebnis herausfordert. Ihr Rat ist daher nur dann entlastend, wenn sie frei und unbeeinflusst ihre Ansicht vertreten können.

Problematischer ist es, wie man einen fachlich qualifizierten Berufsträger findet. Sicher dürfte sein, dass ein Anwalt, der sich mit Verkehrssachen oder Familiensachen beschäftigt, nicht über die hinreichende Qualifikation verfügt, Auskunft über kapitalmarktrechtliche Fragen zu geben.

Im Zweifel hilft eine „second opinion“, sprich: Die Bitte um Rat eines weiteren Anwalts43). Das gilt vor allem, wenn der erste Anwalt sich windet, sich weigert, klar und eindeutig zu formulieren oder wenn im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung Zweifel an der Verlässlichkeit der Auskunft bestehen. Mit einer solchen „second opinion“ hat ein Organmitglied wirklich alles getan, um sich sachkundig zu machen. Wer wollte da noch einen Vorwurf erheben? Dabei wird nicht übersehen, dass eine zweite Auskunft im Gegensatz zur ersten Auskunft stehen kann, dass zumindest Zweifel verstärkt werden; denn auch eine „second opinion“ kann das Problem der Rechtsunsicherheit nicht beseitigen. Nur der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit gegenüber dem Organmitglied wird haltlos.

Zusammenfassung

Unternehmerische Entscheidungen werden zunehmend Gegenstand anwaltlicher Beratung. Die Mitglieder des geschäftsführenden Organs eines Unternehmens tragen zwar für ihre unternehmerischen Entscheidungen die Verantwortung. Durch Einholung von anwaltlichem Rat kann diese Verantwortung zwar nicht rechtlich, wohl aber – in gewissem Umfang – tatsächlich verlagert werden. Der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit und damit eine Voraussetzung für Schadenersatzansprüche entfällt, wenn sich das geschäftsführende Organ innerhalb der Grenzen des unternehmerischen Ermessens bewegt. Ob im konkreten Fall die genannten Grenzen überschritten sind, ist eine Rechtsfrage. Hierüber können auf solche Fragen spezialisierte Anwälte Auskunft geben.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen